29. September 2024 - 01. Dezember 2024

Sejin Kim

zugezogen

Die Vernissage mit Sejin Kim findet am 29. September von 14 – 17 Uhr statt. Sie sind herzlich eingeladen!

Die 43-jährige in Nürnberg lebende und arbeitende Künstlerin Sejin Kim begann 2002 ihre malerische Ausbildung an der Dankook University in Süd-Korea, wo sie europäische Ölmaltechniken als Hauptfach studierte.

Nach ihrem dortigen Bachelor in Freier Kunst und einer sich anschließenden Tätigkeit als Bühnenmalerin, siedelte sie drei Jahre später nach Deutschland um, wo sie 2014 an der AdBK in Nürnberg ihr Studium der Freien Malerei absolvierte und 2016 in der Klasse von Thomas Hartmann Meisterschülerin wurde.

2012 nahm sie bereits im Neuen Museum Nürnberg an ihrer ersten Gruppenaustellung teil. 2013 war sie für ihren ersten Kunstpreis nominiert, zwei Jahre später wurden ihre Bilder in Nürnberg preisgekrönt, im folgenden Jahr erhielt sie den Absolventenpreis der Kunstakademie, 2018 gewann sie abermals einen Nürnberger Kunstpreis.

Es folgten bis heute zahlreiche Ausstellungen vorwiegend in Nürnberg und Umgebung. Aber auch bereits in Berlin, Jena oder in Prag.

Im Gegensatz zu ihrer sehr zielgerichteten Präsenz in unterschiedlichsten Ausstellungskontexten, können ihre Auftritte in Öffentlichkeit und Social Media dagegen als zurückhaltend bezeichnet werden. Dort hält sie sich weitestgehend unter dem Radar und tritt mit ihrem eigenen Konterfei nie selbst in Erscheinung, was für aufstrebende Künstler*innen ihrer Generation eher ungewöhnlich ist. Nie lanciert sie Fotos von sich als Künstlerin oder will ihren content damit aufhübschen, verdeckt ihr Gesicht auf Fotos sogar oft ganz unprätentiös mit ihren Bildern.

Damit widerlegt sie das ausgelutschte und überstrapazierte Künstler-Motto „show your face“, macht sich fast schon in Banksy-Manier einen Spaß daraus mit diesen medialen Erwartungshaltungen an Kunst und Künstler*innen zu spielen. Gerade so als stünde die asiatische Trickfilm-Figur des Koanashi, des „No Face“, (im deutschen: „Ohngesicht“) Pate. Und da es sich mit ihren Werktiteln, auf die sie stets verzichtet und sich so einer vorschnellen Zuschreibung und Deutung ihrer Bilder sehr entschieden verweigert, ähnlich verhält, entzieht sich auch ihre Malerei zunächst einer gängigen Lesbarkeit und ist auf dem ersten Blick weder einzugrenzen noch eindeutig zu fassen.

All dies scheint weniger ein Sträuben gegenüber den wohlbekannt-abgeschmackten Mechanismen der Kunstszene zu sein, sondern mehr eine Art Purismus, eine Verneigung vor der eigentlichen Materie der Malerei. Ein eigenwilliges, unangepasstes und vielschichtiges „let the faces fall“, ein Masken-fallen-lassen, das auch in ihrem Werk zu beobachten ist.

Ihre Charakteristika sind dabei in der Regel vier wiederkehrende Motivgruppen. Köpfe, Hände, Tiere und irrationale dramaturgische Szenerien in einer verschwommenen kargen Natur und verlassen wirkenden Landschaft.  Alles scheint zunächst eigentümlich verhuscht, spröde und aus dem Lot. Gehalten nur von Malerei und Farbe.

Eine Minifigur, die oberhalb einer unwirtlichen, kastanienförmigen Igelwelt aus einem Stachel heraus Gestalt annimmt und Mensch wird. Ein weiße Keramik-Antlitz als eine von außen nach innen umgestülpte Schale mit dunklem Innenleben und geknautschten Gesichtszügen. Ein Kopf mit drei undefinierbaren hellen Wülsten. Wurmartige weiße verhornte Kolben, an Vorsätze, Wucherungen und Tüllen erinnernd, die im Gesicht überhand nehmen, sich Bahn brechen, es verformen.

Immer wieder Gesichter, meist direkt und zentral aus der Frontalen gemalt. Die Köpfe einerseits chimärisch überblendet wie bei Tizians Doppelportraits, andererseits klar konturiert und umrissen. Beispielsweise ein von Farbe umhütetes Gesicht, ähnlich dem ikonischen Foto-Porträt von Annie Leibovitz von dem in Milch badenden und von weißer Farbe umrahmten Gesicht Whoopi Goldbergs.

Oft auch Figuren mit ausgestreckten Armen, in Vogelscheuchen-Pose. Eine in einer rot-lodernden Flamme aufgehende Figur in deren Rauchfahne etwas zu verbrennen scheint.

In einer anderen Werkgruppe malt sie exotische Tiere. Eine Art Schneeleopard, freischwebende Flughörnchen oder gerne auch Affen. Fast wunde rötliche Makaken und glubschäugige Koboldmakis.

Aber eben nicht so, wie wir exotische Tier-Malerei z.B. von John James Audubon her kennen, wie die koloniale Malerei des 19. Jahrhunderts von Humboldt oder die eines Edward Lear, exakte Tierzeichnungen in ihrem natürlichen Habitat. Genauso wenig wie neuerdings die Tierdarstellungen von Walton Ford oder Gabriel von Max, überzeichnet, anklagend, komödiantisch.

Sejin Kims Tiere sind eher so wie die Tiere von Simone Haack oder die der Richter-Schülerin und Malerei-Professorin Karin Kneffel, wie ihre 61 quadratischen Tierportraits mit denen sie in den 90er Jahren berühmt wurde: Tierköpfe von ganz ordinären Tieren, ähnlich nüchtern wie wir sie von Memory-Karten her kennen.

Sejin Kim malt Tiere sowohl in dieser sehr bodenständigen, beinahe quälenden Nüchternheit als auch merkwürdig verdreht, entkopft, miteinander verklebt und verknotet, vielgliedriger als gewohnt.

Ihre Keramiken von Händen und ihre Miniature-Fingerkuppen, die an Fehdehandschuhe erinnern, bilden schließlich das Äquivalent zu den Bildern mit geisterhaften Szenen im Schnee oder auf einem Paddelboot oder Floß, die an den schottischen Maler Peter Doig denken lassen oder an die traumverlorenen Bilder des Brasilianers Antonio Obá.

Dann wirft Sejin Kims Malerei Stimmungen auf, die wir aus Filmen von Andrej Tarkovskij her kennen: düster, unklar, vernebelt, verschwurbelt und mysteriös. Man schaut all ihre Bilder und Keramiken an, als würde man einer Angst nachgehen.

Viele Bilder, besonders wenn sie Köpfe malt, haben eine gewisse Nähe zu der vereinfachten stilisierten Malerei Luc Tuymans. Man denkt auch schnell an Marlene Dumas, an Miriam Cahn oder an Sophie von Hellermann, wenn man sich vor allem den wässrigen, diffusen, fast aquarellierenden Umgang mit Ölfarbe bei Sejin Kim anschaut.

Sie selbst sagt über ihre Malerei: „Ich möchte es der unklaren Welt überlassen“. Aber – um Freddie Mercury zu zitieren – „is this just fantasy?“ Sehen wir tatsächlich nur Irrationales? Fantastisches? Oder ist da nicht auch eine Prise Realität? Ein Hauch Normalität?

Ihre Bilder überführen uns zwar tatsächlich oft in spirituell aufgeladene Paralleluniversen, in die wir einsteigen dürfen. Aber eben auch nur, wenn wir dies als Betrachter:in wollen, anstreben und aushalten können.

Wesentlich für Sejin Kims Malerei ist, dass sie das Diffuse und Verquere mit dem Grundlegenden und Konventionellen verbindet. In ihrem Werk steckt Beides. Wir können ebenso im Jetzt bleiben, in der Realität, bei ganz profanen Darstellungen von Tannen, von Tieren, die wir aus Zoos oder Bildbänden her kennen, bei Katzen und Affen, bei Augen und Händen. Und zwar ohne das dieses Defilee kleiner Bilder zu einer eintönig abgespulten, zu einer inspirationslos aneinandergereihten Nummernrevue wird.

Wir haben in dieser Malerei der Kuriositäten, in einer gewissen Finsternis, die ins Weiche, ins Verschrumpelte und Schlierige geht, die Wahl. Sejin Kim lässt uns die Wahl. Die Ausstellung lässt es offen.

Und es ist genau diese Freiheit, die sie uns lässt, diese Gegenüberstellung ihrer Bilder und ihre duale Wirkung, diese zwei parallelen Ströme, die Sejin Kims Kunst einschlägt und die Arbeiten im Zusammenspiel einer Ausstellung erst so eigenwillig und hypnotisch machen. Das Neben- und Miteinander von zugezogener, verhüllter Realität auf der einen Seite und einer offeneren, realeren und unbestritteneren, die sich quasi vor einem aufgezogenen Vorhang, vor einem offenen Fenster abspielt, auf der anderen Seite.

Das alles allein entscheiden zu können, zwei offene Wege einschlagen und sich gleichzeitig mit einem eigenartig enigmatischen Ensemble auseinandersetzen und konfrontiert sehen zu können, zeichnet die Ausstellung „zugezogen“ von Sejin Kim wohl am meisten aus.

Weitere Infos zu Sejin Kim: https://galerie-mellies.de/ausstellung/artist/sejin-kim/