05. September 2021 - 31. Oktober 2021

Mirjam Wingender

MACHT SPIELE

In ihrer 3. Einzelausstellung zeigte Mirjam Wingender Bilder aus verschiedenen Werkphasen, die formal auf dem ersten Blick schnell erfassbar anmuten, sich aber rasch auf einer ganz eigentümlichen metaphysischen Ebene einpendeln. Gleichzeitig greifbar und benennbar kippen ihre Gemälde um und verwandeln sich zu etwas Wesenslosem und Unwirklichem.

1985 in Troisdorf geboren, absolvierte Mirjam Wingender 2009 im nahegelegenen Alfter bei Bonn ihr Malerei-Studium an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft.

Mirjam Wingenders Kunst ist von Beginn an das genaue Gegenteil einer sphärischen oder geistig abgehobenen Malerei. Eindeutige figurative Formen sind und bleiben fortan wesentliche Bestandteile ihrer Werke.

Bereits zum Ende ihres Studiums im Jahr 2008 wurde man auf Wingenders Bilder aufmerksam und sie nahm an ihrer ersten Gruppenausstellung in der Musemsbibliothek im Kölner Museum Ludwig teil. Zahlreiche weitere Gruppenbeteiligungen an Ausstellungen im Rheinland folgten, beispielsweise im Museum der Stadt Troisdorf, im Künstlerforum Remagen, im Frauenmuseum als auch im Künstlerforum Bonn sowie im Weserrenaissance Schloss Bevern bei Holzminden.

Darüber hinaus zeigte sie ihre Bilder mehrfach auf nationalen Kunstmessen und Art Fairs u.a. bei der Contemporary Art Ruhr in Essen oder der ARTe Messe Sindelfingen bei Stuttgart bis zu Teilnahmen 2016 an Messen in Belgien und Österreich.

Künstlerisch erfand sie sich immer wieder neu. Zeigte ihr Œuvre bis etwa 2015 noch vorwiegend kleinformatige surreale Collagen auf Holzgründen, löste sie sich mit den Jahren immer kontinuierlicher davon und fand über feinste realistische Portraitzeichnungen – 2014 noch nur mit Bleistift auf Holz – ungefähr um 2016 den Weg zur reinen großformatigen Malerei, bei der sie bis heute – bis auf kleine Ausflüge zurück zu farbenfrohen malerischen Collagen – blieb.

Ihre Malerei erinnert formal und inhaltlich an die Fotos der Dänin Trine Søndergard, in ihrer malerischen Perfektion müssen wir an die Bilder von Alex Geis oder Ewa Juszkiewicz denken. Ihre Frauen, Pferde und Astronauten erinnern von der ähnlichen Motiv-Auswahl her stark an Christina Hofbauers Gemälde. Ihre gleißend-bunte Farbigkeit an Xenia Hausner, ihre Entrücktheit an den dänischen Symbolisten Vilhelm Hammershøis.

Über allen zeitgenössischen und kunsthistorischen Analogien scheint jedoch das bildnerische Werk des Belgiers Michaël Borremans den größten Einfluss auf Mirjam Wingenders Bilder zu haben. Wie Borremans arrangiert sie ihre Modelle in exakte theaterhaft austarierte Posen, nimmt minimale Eingriffe der Veränderung vor und zeitigt damit allergrößte Wirkungen die bis ins Bizarre und Absurde, manchmal ins Drollige und Phantastische gehen. Plötzlich werden Gummihandschuhe zu Füßlingen oder wunderlichen Schlappohren, Haare verwickeln sich zu Schals und Schleiern, gefaltete Papierschiffchen blähen sich auf zu veritablen Rettungsbooten.

In einer anderen Werkgruppe beschäftigt sich Mirjam Wingender – ähnlich der reinen Tiermalerin Aimée Rolin Hoover in ihrer „fly mask series“ von 2007, jedoch mit fast schon an Tapetenmuster erinnernde Ornamente im Hintergrund – mit Fliegen- und Lichtschutzmasken für Pferde.

Das Scheuen der Pferde vermeiden zu wollen, ihr Abschirmen, ist allerdings nur vordergründig das Thema ihrer animalisch inspirierten Bilderwelt. Mirjam Wingenders Pferdeköpfe zelebrieren förmlich – farblich virtuos übersteigert – das Überstülpen des Humanen. Sie macht das Maskieren zu einem zwar ästhetisch-sinnenfrohen, jedoch auch übergriffigen Akt auf das Wehrlose, auf das Beschützenswerte. Mensch und Tier verbinden sich nicht, erreichen keine symbiotische Verbindung.

Es ist das Grelle und Aufgesetzte im knallbunten Stoff, das vielleicht das Menschlichste überhaupt zeigt: das Eitle in der guten Absicht. Die Farbe wird hier zu einem Synonym für das Aneignen und Domestizieren der Natur. Das eigentliche Abschotten überhöht Mirjam Wingender in ihrer Bilderserie, indem sie ihre knallbunten Pferdebilder noch einmal um einen Maßstab vergrößert. Damit steigert sie das Maskenhafte, demaskiert es als Symbol für Scheuklappen-Denken, welches in der gutgemeinten Absicht das Pferd – hier als Stellvertreter und Platzhalter für die Natur – schützen, zähmen oder bewahren zu wollen, so oft obsiegt und ins Leere geht.

Mirjam Wingender lässt uns in ihren kafkaesken Bildern an diesem überdenkenswerten Umgang mit der Kreatur auf eine sehr ästhetische und verstörende Weise teilhaben. Ihre Pferdeköpfe wirken dabei nicht unruhig oder bewegt, wie sie vor einem Rennstart eigentlich sein sollten. Sondern einerseits verklärt und durch die prunkvollen Stoffe veredelt, andererseits fast wie eingefroren und stillgelegt. Im Bild auf ewig erstarrt und festgehalten. Jeglicher Dynamik enthoben. Wie in seidig-farbigen Beton gegossen. Ihre Pferde sind dabei alles andere als natürlich, sie wirken beinahe schon rührend und trotz oder gerade wegen der Masken vorgeführt und letzten Endes in ihrer Wehrlosigkeit und Gutmütigkeit zur Schau und somit bloßgestellt.

Diese eindringlichen Natur-Metamorphosen lassen einen aufhorchen. Mirjam Wingenders zunächst naturalistische, dann immer abstrakter werdende Malerei, die nur so vor Farbe strotzt, bringt uns dazu den Blick zu verändern und ganz genau auf noch die feinsten Pinselstriche und Nuancen zu achten.

Dann nistet sich ein Thrill in ihre Bilder. Irgendwas liegt in der Luft. Eine zarte Irritation. Und in einer ganz kleinen Melancholie verdichtet sich oft das Makabre, Mahnende und Fragliche.

Ein ganz geheimes, schelmiges und doch sehr kühnes Doppelleben zwischen Farbenrausch und Tiefgang.

Ausstellungsansichten