Mit der 29-jährigen Johanna Seidel präsentierte die Galerie Mellies im Herbst 2022 eine aufstrebende junge Malerin aus Dresden, deren Œuvre gekennzeichnet ist von Bildern wie aus einem Dornröschenschlaf.
Johanna Seidel begann 2014 ihr Kunststudium an der renommierten Kunstakademie in Dresden, an der sie ein Jahr später bei Peter Bömmels – einem Vertreter der Neuen Wilden Malerei der 1980er Jahre -, lernte. Ohne direkt in die Fußstapfen ihres ersten Mentors zu treten, orientierte sich Johanna Seidels Werk an einer ähnlichen träumerischen und figurativen Malerei, die sie während eines Erasmus-Austauschprogramms 2017 an der École des Beaux-Arts in Paris bei James Rielly verfeinerte, bevor sie ein Jahr danach zunächst in die Malerei-Klasse von Aton Hennig zurück nach Dresden und schließlich in die Meisterschüler-Klasse von Anne Neukamp wechselte und ihre ureigene, unverwechselbare Handschrift entwickelte.
Bereits während ihrer Studienzeit an der HfBK Dresden zeigte sie vorwiegend in den ostdeutschen Metropolen Leipzig, Dresden oder Chemnitz ihre Werke in zahlreichen Ausstellungen, u.a. vor 2 Jahren im namhaften C. Rockefeller Center for Contemporary Arts in Dresden. Auch international nahm Johanna Seidel bereits an Ausstellungen teil, u.a. zeigte sie ihre Bilder in den Galeries Droite et Gauche in Paris oder im Studio.art in St Moritz. Eine sich international an die Detmolder Ausstellung anschließende Solo-Show wird sie im Herbst nach London führen, wo sie an der Artistsellar Galerie ausstellen wird. In diesem Jahr ist sie zudem nach Budapest zu einem Malerei-Symposium eingeladen.
Johanna Seidels Malerei ist geprägt von einem Zusammenspiel aus klarer, fast eingefrorener Figürlichkeit mit oftmals sehr abstrakten und märchenhaften Elementen. Sie zeigt Bilder selten aus einer Totalen, vielmehr sind sie wie Filmstills szenisch arrangierte Moment- und Nahaufnahmen, tagträumerische, rätselaufgebende und geschichtenerzählende Augenblicke und Standbilder.
Eines ihrer Markenzeichen sind dabei oft fast noch mit ihr selbst gleichaltrige Mädchen und junge Frauen, die teils abwesend, teils von irgendetwas gebannt oder ergriffen zu sein scheinen. Dabei befindet sich Johanna Seidel in einer unmittelbaren Dresdner Tradition, denn schon die Brücke-Maler wie Pechstein, Heckel oder besonders Ernst Ludwig Kirchner legten ein gewisses Faible für Mädchen als Modelle an den Tag – man denke nur an die berühmten Fränzi-Bilder. Die selbstvergessenen Haltungen der jungen Frauen in den Bildern von Johanna Seidel erinnern zuweilen beinahe an die Posen der Mädchen in den umstrittenen Bildern von Balthus. Die unterschwellig anzüglichen und schlüpfrigen Konnotationen von Balthus ersetzt Johanna Seidel jedoch gekonnt durch einen jungen, unverbrauchten feministischen Blickwinkel, der Balthus’ Lolita-Posen ins Traumhafte transkribiert. Ihre Figuren und Ebenbilder scheinen eher angelehnt an die stilisierten Körper aus Picassos blauer Periode oder an die, die wir aus den expressionistischen Filmen von Jean Cocteau her kennen.
Die Gemälde von Johanna Seidel erzeugen eine eigentümlich abgewandte Atmosphäre, beschwören ein Bauchgefühl herauf, das mitunter beunruhigend daherkommt. Das Fatale scheint sich im Naiven anzukündigen und evoziert emotionale Rückkopplungen, die man eher aus Filmen zu kennen meint. Ähnlich wie in Ulrike Ottingers berühmten Film „Freak Orlando“ von 1981 oder den magischen, mythologisch aufgeheizten Filmen Jaromil Jireš’ oder Krzysztof Kieślowskis transportiert sie zuweilen Surreales ins Gegenwärtige.
Johanna Seidel nennt als ihre Inspirationsquellen eine Riege sehr junger zeitgenössischer Malerinnen wie Mary Herbert, Oda Iselin Sønderland oder Carlotta Bailly Borg. Ihre Malerei zeigt darüber hinaus aber auch neben der Nähe zu ihren akademischen Lehrmeister:innen auch formale Bezüge zum polnischen Künstler Wilhelm Sasnal oder zu der Belgierin Peggy Wauters.
Die Symbolik des Märchenhaften wird bei ihr im Alltäglichen verortet und bekommt gerade durch die unprätentiöse Schlichtheit ihrer Malerei eine ganz unheimliche Dichte und Poesie. Getränkt in oft teigige, pastöse, beige und fast blasse Farben wirken ihre vielsagenden Bilder wie unter einer Salbe. Wie in Wolken.
Die Bilder, die sie malt, sind Bilder zum Inhalieren, schwerelos und doppelbödig und trotz aller Tiefe immer sehr nahbar.